1) Dezentralisierung und Regionalisierung
Der erste Impuls zur Entwicklung der Charta ging von der Überzeugung aus, daß die dualistischen Ideologien von Privatisierung im kapitalistischen Sinne und Verstaatlichung wie im „realen Sozialismus“ sowjetischer Prägung gleichermaßen obsolet geworden sind und die wirklichen Probleme nicht lösen. Da ein simples „weder- noch“ kaum zielführend erschien, stießen wir bei der Suche nach einer zeitgemäßen Perspektive auf Leopold Kohr. Sein Buch „Das Ende der Großen“ bestimmte in hohem Maß den ersten und grundlegenden Impuls zur Charta: Dezentralisierung und Regionalisierung.
Er geht davon aus, dass jedes soziale System (politischer Art wie ein Staat, aber auch wirtschaftlicher Art wie ein Konzern oder andere Systeme) ab einer gewissen Größe und unabhängig von Ideologie oder guten Willen seiner führenden Eliten zu einem Herrschaftsgebilde mutiert und die Freiheit der Einzelnen wie auch seiner „Untergliederungen“ in Folge seiner immanenten „Selbstabsicherung“ zunehmend untergräbt.
„Auch ein gesellschaftlicher Organismus wächst optimal durch Zellteilung, kritisch mit gefährlichem Übergewicht, tödlich mit unkontrollierter Zellwucherung“ L.K.(=Leopold Kohr)
Die Gesellschaft mit einem „Organismus“ zu vergleichen, schien uns besser geeignet, eine lebendige Realität zu beschreiben, als mit dem Begriff „System“. Die Problematik, die aus zu großen (z.B. Nationalstaat) oder zu kleinen (z.B. Singlehaushalt) Einheiten resultiert, wird so noch anschaulicher.
„Die Probleme einer Gesellschaft, die sich über ihre optimale Größe hinaus entwickelt, wachsen also mit der Zeit rascher, als die menschliche Fähigkeit, mit ihnen fertig zu werden.“ L.K.
„Dies bedeutet, daß wir, wenn einmal der kritische Punkt erreicht ist, zu brutalen Menschen werden, sogar fast gegen unsere Natur.“ L.K.
D.h. Die anthropologische Ebene und unsere bewußten oder unbewußten Menschenbilder können von da an bei unseren politischen Konzepten nicht mehr unbeachtet bleiben.
„Dies geschieht nicht, weil größere Städte proportional mehr schlechte Menschen beherbergen als kleinere, sondern weil ab einem gewissen Punkt die soziale Größe selbst zum hauptsächlichen Kriminellen wird.“ L.K.
„Die Antwort besteht daher nicht in einer Vergrößerung der Polizeimacht, sondern in der Verringerung sozialer Größe.“ L.K.
Wenn also nicht nur eine entsprechende Ideologie (wie z.B. der Faschismus) sondern bereits schiere Größe Unterdrückungs- und damit Herrschaftsstrukturen hervorbringt, dann rückt die Region noch einmal viel entschiedener in die Aufmerksamkeit bei der Entwicklung herrschaftsfreier Gesellschaftsvorstellungen als dies im überkommenen Dualismus von „freier, und privater“ Wirtschaft und staatlicher „Lenkung“ der Fall war.
Was kommt dabei heraus, wenn wir Begriffe wie „gesellschaftliches Eigentum“ und „Volkssouveränität“ einmal nicht auf abstrakte und anonyme Größen wie den Staat beziehen, sondern uns diesen „Souverän“ und sein „Gemeinschaftseigentum“ einmal viel kleiner vorstellen? Überschaubare Gemeinschaften; auf relative Autarkie, Selbstbestimmung, Gemeinwohl und Naturverträglichkeit hin orientierte, sich weitgehend selbst regierende Gemeinden; sowie Kreise und Regionen, die nicht als Unterverwaltungseinheiten größerer Körperschaften fungieren sondern der Koordination und politischen Willensartikulation ihrer Gemeinden. Solchen, sich basisdemokratisch von unter her aufbauenden Regionen will die Charta künftig jene „staatliche“ Souveränität zusprechen, die bis heute in der Regel mit dem Nationalstaat assoziiert wird.
„Demokratie in ihrer vollen Bedeutung ist in einem großen Staat unmöglich, der, wie schon Aristoteles bemerkte, fast unfähig ist, konstitutionell regiert zu werden.“ L.K.
„Würde man also die Großmächte in Kleinbereiche aufteilen, so würde das nicht zu einer Rückkehr Europas in einen künstlichen, sondern in einen natürlichen Zustand führen.“ L.K.
„Das mobile Prinzip des Gleichgewichts verwandelt die Anarchie freier Partikel in Systeme höchster Ordnung.“ L.K.
Während die klassischen Instrumente und Vorschläge der Anarchisten nach wie vor und gegen alle Behauptungen einer geschichtsvergessenen Moderne sehr wohl geeignet sind zu einem basisdemokratischen Gesellschaftsaufbau von unten bis zur Größe etwa einer autonomen Region, liefert Leopold Kohr die geeigneten Rahmenüberlegungen für den föderalen Umgang dieser Regionen untereinander. Anders als die bisherigen Nationalstaaten sollen diese nämlich alle eine gewisse Größe nicht überschreiten. Nicht nur aus Gründen der eben erwähnten inneren Demokratie, sondern auch, damit keine Region, ihren Nachbarregionen ihren Willen aufzwingen kann.
Die Charta schlägt daher ein ausbalanciertes Miteinander der Regionen vor, die sich in ungefähr ähnlich großen Regional- und Territorialföderationen zusammentun, ohne ihre Souveränität aufzugeben.
Daher sprengen die Vorschläge der Charta auch den Rahmen der üblichen und systemimmanenten Überlegungen zur Rettung oder Reparatur unseres derzeitigen repräsentativen Parlamentarismus, bilden eher eine „Vorwärtsverteidigung“ (Ute Scheub) oder grundlegende evolutionäre Weiterentwicklung von Demokratie im Sinne von Selbstermächtigung und kooperativer Gemeinschaft.
Und natürlich setzen sowohl die Lektüre von L.Kohr als auch der Charta ein Minimum an geistigem Engagement, Wissenwollen und Kenntnisnahme komplexer Zusammenhänge voraus. Doch ohne diese Bereitschaft würden wir den verkürzten und versimpelten Phrasen populistischer Prägung fahrlässig das Feld überlassen.
„Das kommunistische Manifest von Marx, eine glänzende Abhandlung, welche 1848 von den Arbeitern der Welt, an die es sich wendete, verstanden wurde, übersteigt heute…das Fassungsvermögen eines durchschnittlichen, massenerzogenen Universitätsstudenten. Seine prahlerische Gelehrtheit scheint ihm keine andere Fähigkeit gegeben zu haben, als jene, mit Ja oder Nein auf genau gestellte Fragen zu antworten und Formulare auszufüllen, die ihn vom 20. Lebensjahr an zu einer Intellektuellen-Senilitätspension berechtigen. Unsere Vorfahren, die weder lesen noch schreiben konnten, scheinen mehr Bildung in ihren Fingerspitzen gehabt zu haben, als wir in unseren Köpfen.“ L.K.
Ohne ein Minimum an geistiger Anstrengung wird es keine mündigen Bürger geben. Und ohne diese wird auch die Charta Papier bleiben. Der schweizer Anarchist P.M. alias Hans Widmer, der mit „Neustart Schweiz“ ein ähnliches Projekt gestartet hat wie wir, sagt dazu:
„Mündige Bürger würden niemals einem Rattenfänger hinterherlaufen. …Voraussetzung für eine solche Mündigkeit ist das Gefühl von Zugehörigkeit, Überschaubarkeit, ja: Heimat.“ P.M.
Nicht zuletzt aus diesen Gründen setzt die Charta auf die kleinen Einheiten.
Quellen:
Leopold Kohr „Das Ende der Großen – Zurück zum menschlichen Maß“
Ernst Friedrich Schumacher „Small is beautiful – Die Rückkehr zum menschlichen Maß“
P.M. „Bolo Bolo“
P.M. „Neustart Schweiz“
P.M. „Computer und Kartoffeln – Märkte durch Gemeinschaften ersetzen“
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2) Räterepublik 1918/1919
Nach dem 1. Weltkrieg gab es für einen kurzen Augenblick den Wunsch vieler Menschen, tiefere Ursachen der Katastrophe zu berücksichtigen um künftige Kriege zu verhindern. Demokratie von unten war das Thema und wie mit einem Brennglas wurde hingeleuchtet auf notwendige Veränderungen. Die Parole lautete: Laßt Euch durch Schwätzer nicht vertreten, selbst herrscht das Volk in seinen Räten. Macht! Alle! Mit! München war für einen kurzen Augenblick die Stadt einer realen Utopie. Wir denken, daß vor 100 Jahren auch ein Beet für unsere Bestrebungen bereitet wurde.
“Ich glaube an eine künftige Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten, die alles bisherige schamrot machen wird.” Friedrich Hölderlin
“Unter Räterepublik ist nichts anderes zu verstehen, als daß das, was im Geiste lebt und nach Verwirklichung drängt, nach irgendwelcher Möglichkeit durchgeführt wird.” Gustav Landauer
“Wir versuchen auch eine neue Form der Demokratie zu entwickeln.
Wir wollen die ständige Mitbestimmung aller Schaffenden in Stadt und Land. …
Dass sie 12 Millionen Wähler hinter sich haben, das beweist nichts für ihre Politik. Die Wahrheit ist kein Multiplikationsexempel.” Kurt Eisner
“Es geht jetzt um die völlige Umgestaltung aller dem Geiste dienenden Einrichtungen des Gemeinwesens. Diener des Vergangenen und Wesenlosen, der ermattenden Geschäftigkeit, die sich im Kreise dreht und nichts vorwärts bringt, kann ich nicht sein. (…) Es darf nicht das Geringste geschehen, was nicht das ganze Volk klar übersehen kann.” Silvio Gesell
“In der Tiefe war etwas im Werden. Etwas wie eine neue Menschlichkeit.” Hermann Hesse
“Man hielt den Atem an. Denn vor uns stand ein Entronnener aus eben jener Schar stummer Blutzeugen für die Ideen der Gewaltlosigkeit, der Wahrheit und der Menschenliebe. Dies war ihr Los wie vor 2000 Jahren.” Annette Kolb
„Was wir in diesen Tagen erleben ist ein Märchen, das Wirklichkeit geworden ist“. Der König verläßt heimlich die dunkle Stadt während sich der Sozialdemokrat, Theater- und Kriegskritiker Kurt Eisner in der Nacht zum 8. November 1918 auf den frei gewordenen Platz des bayerischen Regierungschefs setzt und Bayern zum Freistaat erklärt. Er bemüht sich, trotz heftigem Widerstand von rechts und links, um die Intergration aller gesellschaftlichen Kräfte. Lange hat er allein gekämpft gegen den Krieg. Endlich kann er reden, nicht von Parteipolitik, sondern von wesentlichen Dingen. Von der Neubeseelung der Menschen, der Kunst als Mittel der Erziehung, die hinausdringt in jedes Dorf. „Wenn überall die große Kunst in den Dienst des Volkes gestellt wird, dann wird für das künftige Völkerleben eine neue Zeit anbrechen!“ Er bekommt viel Zuspruch, zu viel? Die Bereitschaft der Menschen mitzugestalten, wächst. Die Tage im Januar sind „die schönsten meines Lebens“. Doch die Gegner drängen, sie setzen schließlich für den Prozeß viel zu frühe Wahlen schon im Februar durch. Eisners Traum von der Vereinigung der Linken ist gescheitert. Er und seine Minister erhalten jämmerlich wenig Zuspruch, obwohl auch zum ersten Mal Frauen wählen durften. Ende eines Traums? Ende der Verwirklichung der Vision Schillers und Beethovens (9. Symphonie)?
Wenige Tage später wird Eisner auf offener Straße erschossen.
Gustav Landauer rief den 100.000 Münchnern bei seiner Grabrede zu: „Kurt Eisner war ein Prophet, der unbarmherzig mit den kleinmütigen, erbärmlichen Menschen gerungen hat, weil er die Menschen liebte und an sie glaubte. … Die Revolution ist sein Vermächtnis an die Menschheit. Wir haben sie in seinem Geiste fest und human weiterzuführen.“
München trauerte und rutschte gen Süden. Von überall kamen Hippies, Sandalenträger, Radikaldemokraten, Hypnotiseure und Yogis in die Stadt, von der es hieß, daß hier Literatur in Wirklichkeit verwandelt werde. Menschen wurden berührt von all den Traumtänzern, Predigern, Gedichteverteilern und Möglichkeitsmenschen. Es war, als hätte sich für einen Augenblick ein Fenster geöffnet, das den Blick freigab in eine andere Welt. Viele hatten über Jahrzehnte auf diesen Moment hingewirkt. Dichter und Weltverbesserer, der Theaterschreiber Ernst Toller, der Anarchist Erich Mühsam, der Schriftsteller und Pazifist Gustav Landauer, der Freigelddenker Silvio Gesell, der Politiker Ernst Niekisch, der Revolutionär Re Marut (B.Traven) und all die mit ihnen Sympathisierenden, wie Oskar Maria Graf, Rainer Maria Rilke, Klabund (Alfred Georg Hermann Henschke), Thomas Mann. Viele hofften, daß ihr Leiden im Krieg nicht umsonst gewesen sei und wußten, daß es jetzt in dieser historischen Chance um Einigkeit im Kampf gegen den Kapitalismus gehe. Am 7. April 1919 wird die Räterepublik ausgerufen. Ein ganzes Maßnahmenbündel soll umgesetzt werden, doch womit beginnen? Und wieviel Zeit wird dafür gewährt? „Die Seelen der Menschen müssen von Grund auf neu sich bilden, in Schulen und an den Universitäten“ (Landauer). Zinsherrschaft ist zu beenden, Geldtransfers von Großkapitalisten ins Ausland zu verhindern. Mietwucher soll verboten werden. Zeitungen und das Verlagswesen müssen sozialisiert werden um der „Kriegshetzenden Lügenpresse“ Herr zu werden, „gegen die Verpöbelung des Geschmacks“ (Presse soll frei sein von Unternehmergewinnen, wie die Schulen!). Ateliers sollen für Künstler und Kreative zur Verfügung gestellt werden. Die Freilassung aller Kriegsgefangenen wird angeordnet, der 8‑Stundentag eingeführt, ebenso der arbeitsfreie Sonntag. Es war die Weltsekunde der Literatur an der Macht – ein Traum, eine Möglichkeit, ein Gedicht. Viel zu schnell schloß sich das Fenster, die Räterepublik währte gerade mal 7 Tage.
“Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt.” Friedrich Hölderlin
“Liebe und Friede, Geist und Volk, Schönheit und Gemeinschaft: das alles war ihm (Hölderlin) zusammengehörig und eins.” Gustav Landauer
Frieden und Liebe war der Traum.
Hohn und Spott und Hass war das Ergebnis. Es endete fürchterlich. Die Menschen hatten Angst. Um ihr Geld. Um ihre Sicherheit und um ihre Ruhe. München wurde in zwei sich unerbittlich bekriegende Hälften gerissen. Einer, gerade 30 geworden, politisierte sich seit diesen Tagen. Adolf Hitler wußte noch nicht, welche Aufgaben das Leben für ihn vorgesehen hatte.
Rainer Maria Rilke schreibt während der Räte-Zeit: „Erst jetzt sind ja eigentlich Ideale deutlich geworden, die menschlichsten und hinreißendsten, und es darf uns nicht beirren, daß die Menge so schwerkörperig und unbeholfen und ratlos für sie einsteht.“ Kurze Zeit danach verließ der Sternendichter Deutschland für immer.
Später schrieb er über den bayerischen Traum: „Deutschland hätte 1918 im Moment des Zusammenbruchs alle, die Welt, beschämen können durch einen Akt tiefer Wahrhaftigkeit und Umkehr. Damals hoffte ich einen Augenblick…“
Quellen:
Volker Weidermann „Träumer“, 2017
Johannes Heinrichs „Revolution aus Geist und Liebe“, 2007
Spiegel 45/2017
Gustav Landauer: „Friedrich Hölderlin in seinen Gedichten“, Rede vom 13. März 1916
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3) Matriarchatsforschung und Patriarchatskritik
Warum gebrauchen wir im CHARTA-Zusammenhang diese beiden politischen Begriffe, die scheinbar z.Z. völlig „außer Mode“ sind? Weil sie, ähnlich wie die Begriffe im Zusammenhang basis- und rätedemokratischer Konzepte, völlig zu Unrecht als unzeitgemäß und überholt gelten. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts durften wir eine Blüte des politischen und ganzheitlichen Bewußtseins erleben. „Ökofeministinnen“ hatten die Themen Matriarchat und Patriarchat in die gesamtpolitische Debatte eingebracht. Anarchisten, Umweltbewußte und sogar Teile der marxistischen Linken begannen zu verstehen, daß Kapitalismusanalyse allein nicht ausreichte, die patriarchale Zivilisation als Herrschaftssystem von Menschen über Menschen in der gebotenen Tiefe zu erfassen. Statt die „Frauenfrage“ als „Nebenwiderspruch“ im Klassenkampf abzutun, begannen die ersten damit, den Kapitalismus als das moderne Gesicht eines darunter liegenden Unterdrückungssystems zu erkennen.
„Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts.“ (.…) „Frauen begannen zu erkennen, daß es einen Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung, atomarer Bedrohung, Krieg und patriarchaler Gewalt gegen Frauen und fremde Völker gibt.“ Mariam Irene Tazi-Preve
Dann setzten im Zuge der neoliberalen Globalisierung verschiedene Desinformations-kampagnen ein und begannen, das politische Bewußtsein unserer Gesellschaft wieder nachhaltig einzunebeln. Die soziale Marktwirtschaft wurde zum Auslaufmodell, aber auch alle politischen Perspektiven, die das herrschende System grundsätzlich in Frage stellten, gerieten in den Ruf, von vorgestern zu sein. Nach dem Zusammenbruch der staats-sozialistischen Variante des Patriarchats war sogar von einem „Ende der Geschichte“ die Rede. Und heute regiert das t.i.n.a‑Prinzip (=there is no alternative) nahezu weltweit die Politik.
„Patriarchales Bewußtsein steigerte sich im Verlauf der Ausweitung von Herrschaftstechnologie, die von direkter Gewalt immer stärker zu unsichtbarer, struktureller Gewalt übergegangen ist.“ Heide Göttner-Abendroth
„Einige von uns spüren, da muß etwas geschehen. Wir ahnen, wir brauchen die Wildnis zum Leben. Wir müssen umdenken, umhandeln, umfühlen. Beunruhigt bemerken wir, unsere ganze Zivilisation ist auf dem falschen Weg.“ Claudia von Werlhof
Als wir vor bald zehn Jahren mit der Arbeit an der CHARTA begannen, war uns klar, daß wir die Prinzipien von Dezentralisierung und Regionalisierung ergänzen mußten um die Perspektive einer nachhaltigen Basisdemokratie; und daß eine solche nicht einfach eine Wiederholung der ersten rätedemokratischen Versuche von vor rund hundert Jahren sein konnte, sondern heute das gesamte moderne Wissen um Matriarchat, Patriarchat und deren anthropologischen und strukturellen Grundbedingungen, einer erwiesenermaßen freiheits- und gemeinschaftsförderlichen Zivilisation, in sich aufzunehmen hat, wenn sie mehr sein will als ein relativ irrelevantes und chancenloses Herumstochern im Nebel. Erst die Erinnerung, das Wissen und die Integration dieser „Matrix der Freiheit“ in unser heutiges Gestalten von Gesellschaft verleiht der CHARTA das Zeug zu einer neuen „großen Erzählung“.
„Wenn das fragmentierte Wissen wieder zusammengesetzt würde, entstünde Wissen erst wirklich.“ Mariam Irene Tazi-Preve
Das Patriarchat, die Zivilisation der Herrschaft von Menschen über Menschen, ist auf Krieg, Raub und Ausbeutung gegründet, aber erst ca. 5000 Jahre alt. Der „Krieg als Vater aller Dinge“ und die „schlechten, faulen und egoistischen Menschen“ die zu ihrem eigenen Besten von den Eliten kontrolliert werden müssen – sie gehören weder zur menschlichen Natur, noch existieren sie schon ewig.
„Der erste Klassengegensatz in der Geschichte fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Frau in der Einzelehe, und die erste (…) Unterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche.“ Friedrich Engels
„Patriarchat ist für mich (…) vor allem ein theoretisches Grundkonzept für das Verständnis der Herkunft, Entwicklung und Zukunft unserer gegenwärtigen weltweiten Gesellschaftsordnung.“ Claudia von Werlhof
„Das Unrecht hat einen Namen.“ Mariam Irene Tazi-Preve
Davor und daneben gab es die globale Zivilisation der Matriarchate. Sie hat über Jahrzehntausende friedlich und über drei Kulturstufen hinweg existiert (Reste davon, wenn auch weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung, leben heute noch nach ihrem Muster). Sie basiert auf mutterzentrierten Strukturen und Werten, die nicht nur die familiären und sozialen Verhältnisse in den Grundeinheiten der Gesellschaft prägen, sondern eine ganz andere Zivilisation hervorbringen, die auf Gemeinschaft und Kooperation basiert.
Matriarchate bedeuten nicht nur ein anderes Verhältnis (auf Augenhöhe!) der Geschlechter zueinander, sie bedeuten auch ein anderes Verhältnis zwischen den Generationen, andere (herrschaftsfreie) Entscheidungsprozesse und politische Strukturen, ein partnerschaftlicheres Verhältnis zur Natur und ein Verhältnis zur Transzendenz, das lebensbejahendere, leib- und frauenfreundliche Vorstellungen über die geistige Welt fördert als die patriarchalen „Hochreligionen“.
Leugner, Gegner und Verleumder der matriarchalen Zivilisation stellen diese gern als „fake“, männerunterdrückend oder nur in der Steinzeit möglich dar. Nichts davon ist real. Diese Vorurteile entstehen (bestenfalls) aus Unwissenheit oder werden absichtlich aus ideologischen Vorbehalten lanciert.
Wenn wir heute das Wissen um die alte egalitäre Gemeinschaftszivilisation in die aktuellen CHARTA ‑Zusammenhänge integrieren, dann geht es nicht darum, vergangene Sozialstrukturen 1:1 in die Gegenwart zu übertragen, sondern darum, die wesentlichen Grundzüge dieser erprobten sozialen Intelligenz für den Aufbau einer enkeltauglichen Zukunft zu nutzen.
„Demokratie…wird eine Wiederbelebung sein – aber in höherer Form- der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der alten (mutterrechtlichen) Sippen.“ Friedrich Engels
„Gelingt es, in diesem extremen Prozess die zerstörerischen patriarchalen Herrschaftsmuster aufzulösen und überall, auch in Europa, zu kleineren Gebilden mit lebensfreundlicherer Sozialordnung zurückzukehren?“ Heide Göttner-Abendroth
„Das politische Gestalten matrilinearer Gesellschaften folgt den Prinzipien der Kleinräumigkeit und der Konsensbildung.“ Mariam Irene Tazi-Preve
Quellen:
Heide Göttner-Abendroth „Zur Definition von Matriarchat“ und „Matriarchate als herrschaftsfreie Gesellschaften“ und „Der Weg zu einer egalitären Gesellschaft“
Claudia von Werlhof „Der unerkannte Kern der Krise“ und „Die Verkehrung“
Friedrich Engels „Der Ursprung der Familie, der Privateigentums und des Staates“
Bernd Hercksen „Vom Urpatriarchat zum globalen Crash?“
Mariam Irene Tazi-Preve „Das versagen der Kleinfamilie – Kapitalismus, Liebe und der Staat“