Unsere Wurzeln

1) Dezen­tral­isierung und Regionalisierung

Der erste Impuls zur Entwick­lung der Char­ta ging von der Überzeu­gung aus, daß die dual­is­tis­chen Ide­olo­gien von Pri­vatisierung im kap­i­tal­is­tis­chen Sinne und Ver­staatlichung wie im „realen Sozial­is­mus“ sow­jetis­ch­er Prä­gung gle­icher­maßen obso­let gewor­den sind und die wirk­lichen Prob­leme nicht lösen. Da ein sim­ples „wed­er- noch“ kaum zielführend erschien, stießen wir bei der Suche nach ein­er zeit­gemäßen Per­spek­tive auf Leopold Kohr. Sein Buch „Das Ende der Großen“ bes­timmte in hohem Maß den ersten und grundle­gen­den Impuls zur Char­ta: Dezen­tral­isierung und Regionalisierung.

Er geht davon aus, dass jedes soziale Sys­tem (poli­tis­ch­er Art wie ein Staat, aber auch wirtschaftlich­er Art wie ein Konz­ern oder andere Sys­teme) ab ein­er gewis­sen Größe und unab­hängig von Ide­olo­gie oder guten Willen sein­er führen­den Eliten zu einem Herrschafts­ge­bilde mutiert und die Frei­heit der Einzel­nen wie auch sein­er „Unter­gliederun­gen“ in Folge sein­er imma­nen­ten „Selb­stab­sicherung“ zunehmend untergräbt.

Auch ein gesellschaftlich­er Organ­is­mus wächst opti­mal durch Zell­teilung, kri­tisch mit gefährlichem Übergewicht, tödlich mit unkon­trol­liert­er Zell­wucherung“ L.K.(=Leopold Kohr)

Die  Gesellschaft mit einem „Organ­is­mus“ zu ver­gle­ichen, schien uns bess­er geeignet, eine lebendi­ge Real­ität zu beschreiben, als mit dem Begriff „Sys­tem“. Die Prob­lematik, die aus zu großen (z.B. Nation­al­staat) oder zu kleinen (z.B. Sin­gle­haushalt) Ein­heit­en resul­tiert, wird so noch anschaulicher.

Die Prob­leme ein­er Gesellschaft, die sich über ihre opti­male Größe hin­aus entwick­elt, wach­sen also mit der Zeit rasch­er, als die men­schliche Fähigkeit, mit ihnen fer­tig zu wer­den.“ L.K.

Dies bedeutet, daß wir, wenn ein­mal der kri­tis­che Punkt erre­icht ist, zu bru­tal­en Men­schen wer­den, sog­ar fast gegen unsere Natur.“ L.K.

D.h. Die anthro­pol­o­gis­che Ebene und unsere bewußten oder unbe­wußten Men­schen­bilder kön­nen von da an bei unseren poli­tis­chen Konzepten nicht mehr unbeachtet bleiben.

Dies geschieht nicht, weil größere Städte pro­por­tion­al mehr schlechte Men­schen beherber­gen als kleinere, son­dern weil ab einem gewis­sen Punkt die soziale Größe selb­st zum haupt­säch­lichen Krim­inellen wird.“ L.K.

Die Antwort beste­ht daher nicht in ein­er Ver­größerung der Polizeimacht, son­dern in der Ver­ringerung sozialer Größe.“ L.K.

Wenn also nicht nur eine entsprechende Ide­olo­gie (wie z.B. der Faschis­mus) son­dern bere­its schiere Größe Unter­drück­ungs- und damit Herrschaftsstruk­turen her­vor­bringt, dann rückt die Region noch ein­mal viel entsch­ieden­er in die Aufmerk­samkeit bei der Entwick­lung herrschafts­freier Gesellschaftsvorstel­lun­gen als dies im überkomme­nen Dual­is­mus von „freier, und pri­vater“ Wirtschaft und staatlich­er „Lenkung“ der Fall war.

Was kommt dabei her­aus, wenn wir Begriffe wie „gesellschaftlich­es Eigen­tum“ und „Volkssou­veränität“ ein­mal nicht auf abstrak­te und anonyme Größen wie den Staat beziehen, son­dern uns diesen „Sou­verän“ und sein „Gemein­schaft­seigen­tum“ ein­mal viel klein­er vorstellen? Über­schaubare Gemein­schaften; auf rel­a­tive Autarkie, Selb­st­bes­tim­mung, Gemein­wohl und Naturverträglichkeit hin ori­en­tierte, sich weit­ge­hend selb­st regierende Gemein­den; sowie Kreise und Regio­nen, die nicht als Unter­ver­wal­tung­sein­heit­en größer­er Kör­per­schaften fungieren son­dern der Koor­di­na­tion und poli­tis­chen Wil­len­sar­tiku­la­tion ihrer Gemein­den. Solchen, sich basis­demokratisch von unter her auf­bauen­den Regio­nen will die Char­ta kün­ftig jene „staatliche“ Sou­veränität zus­prechen, die bis heute in der Regel mit dem Nation­al­staat assozi­iert wird.

Demokratie in ihrer vollen Bedeu­tung ist in einem großen Staat unmöglich, der, wie schon Aris­tote­les bemerk­te, fast unfähig ist, kon­sti­tu­tionell regiert zu wer­den.“ L.K.

Würde man also die Großmächte in Klein­bere­iche aufteilen, so würde das nicht zu ein­er Rück­kehr Europas in einen kün­stlichen, son­dern in einen natür­lichen Zus­tand führen.“ L.K.

Das mobile Prinzip des Gle­ichgewichts ver­wan­delt die Anar­chie freier Par­tikel in Sys­teme höch­ster Ord­nung.“ L.K.

Während die klas­sis­chen Instru­mente und Vorschläge der Anar­chis­ten nach wie vor und gegen alle Behaup­tun­gen ein­er geschichtsvergesse­nen Mod­erne sehr wohl geeignet sind zu einem basis­demokratis­chen Gesellschaft­sauf­bau von unten bis zur Größe etwa ein­er autonomen Region, liefert Leopold Kohr die geeigneten Rah­menüber­legun­gen für den föderalen Umgang dieser Regio­nen untere­inan­der. Anders als die bish­eri­gen Nation­al­staat­en sollen diese näm­lich alle eine gewisse Größe nicht über­schre­it­en. Nicht nur aus Grün­den der eben erwäh­n­ten inneren Demokratie, son­dern auch, damit keine Region, ihren Nach­bar­re­gio­nen ihren Willen aufzwin­gen kann.

Die Char­ta schlägt daher ein aus­bal­anciertes Miteinan­der der Regio­nen vor, die sich in unge­fähr ähn­lich großen Region­al- und Ter­ri­to­ri­alföder­a­tio­nen zusam­men­tun, ohne ihre Sou­veränität aufzugeben.

Daher spren­gen die Vorschläge der Char­ta auch den Rah­men der üblichen und sys­temim­ma­nen­ten Über­legun­gen zur Ret­tung oder Reparatur unseres derzeit­i­gen repräsen­ta­tiv­en Par­la­men­taris­mus, bilden eher eine „Vor­wärtsvertei­di­gung“ (Ute Scheub) oder grundle­gende evo­lu­tionäre Weit­er­en­twick­lung von Demokratie im Sinne von Selb­ster­mäch­ti­gung und koop­er­a­tiv­er Gemeinschaft.

Und natür­lich set­zen sowohl die Lek­türe von L.Kohr als auch der Char­ta ein Min­i­mum an geistigem Engage­ment, Wis­senwollen und Ken­nt­nis­nahme kom­plex­er Zusam­men­hänge voraus. Doch ohne diese Bere­itschaft wür­den wir den verkürzten und ver­sim­pel­ten Phrasen pop­ulis­tis­ch­er Prä­gung fahrläs­sig das Feld überlassen.

Das kom­mu­nis­tis­che Man­i­fest von Marx, eine glänzende Abhand­lung, welche 1848 von den Arbeit­ern der Welt, an die es sich wen­dete, ver­standen wurde, über­steigt heute…das Fas­sungsver­mö­gen eines durch­schnit­tlichen, massen­er­zo­ge­nen Uni­ver­sitätsstu­den­ten. Seine prahlerische Gelehrtheit scheint ihm keine andere Fähigkeit gegeben zu haben, als jene, mit Ja oder Nein auf genau gestellte Fra­gen zu antworten und For­mu­la­re auszufüllen, die ihn vom 20. Leben­s­jahr an zu ein­er Intellek­tuellen-Senil­ität­spen­sion berechti­gen. Unsere Vor­fahren, die wed­er lesen noch schreiben kon­nten, scheinen mehr Bil­dung in ihren Fin­ger­spitzen gehabt zu haben, als wir in unseren Köpfen.“ L.K.

Ohne ein Min­i­mum an geistiger Anstren­gung wird es keine mündi­gen Bürg­er geben. Und ohne diese wird auch die Char­ta Papi­er bleiben. Der schweiz­er Anar­chist P.M. alias Hans Wid­mer, der mit „Neustart Schweiz“ ein ähn­lich­es Pro­jekt ges­tartet hat wie wir, sagt dazu:

Mündi­ge Bürg­er wür­den niemals einem Rat­ten­fänger hin­ter­her­laufen. …Voraus­set­zung für eine solche Mündigkeit ist das Gefühl von Zuge­hörigkeit, Über­schaubarkeit,  ja: Heimat.“ P.M.

Nicht zulet­zt aus diesen Grün­den set­zt die Char­ta auf die kleinen Einheiten.

Quellen:

Leopold Kohr „Das Ende der Großen – Zurück zum men­schlichen Maß“

Ernst Friedrich Schu­mach­er „Small is beau­ti­ful – Die Rück­kehr zum men­schlichen Maß“

P.M. „Bolo Bolo“

P.M. „Neustart Schweiz“

P.M. „Com­put­er und Kartof­feln – Märk­te durch Gemein­schaften ersetzen“

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2) Räterepublik 1918/1919

 

Nach dem 1. Weltkrieg gab es für einen kurzen Augen­blick den Wun­sch viel­er Men­schen, tief­ere Ursachen der Katas­tro­phe zu berück­sichti­gen um kün­ftige Kriege zu ver­hin­dern. Demokratie von unten war das The­ma und wie mit einem Bren­n­glas wurde hin­geleuchtet auf notwendi­ge Verän­derun­gen. Die Parole lautete: Laßt Euch durch Schwätzer nicht vertreten, selb­st herrscht das Volk in seinen Räten. Macht! Alle! Mit! München war für einen kurzen Augen­blick die Stadt ein­er realen Utopie. Wir denken, daß vor 100 Jahren auch ein Beet für unsere Bestre­bun­gen bere­it­et wurde.

    “Ich glaube an eine künftige Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten, die alles bisherige schamrot machen wird.”                        Friedrich Hölderlin
Unter Räterepublik ist nichts anderes zu verstehen, als daß das, was im Geiste lebt und nach Verwirklichung drängt, nach irgendwelcher Möglichkeit durchgeführt wird.”     Gustav Landauer
Wir versuchen auch eine neue Form der Demokratie zu entwickeln.
Wir wollen die ständige Mitbestimmung aller Schaffenden in Stadt und Land. …
Dass sie 12 Millionen Wähler hinter sich haben, das beweist nichts für ihre Politik. Die Wahrheit ist kein Multiplikationsexempel.”      Kurt Eisner
Es geht jetzt um die völlige Umgestaltung aller dem Geiste dienenden Einrichtungen des Gemeinwesens. Diener des Vergangenen und Wesenlosen, der ermattenden Geschäftigkeit, die sich im Kreise dreht und nichts vorwärts bringt, kann ich nicht sein. (…) Es darf nicht das Geringste geschehen, was nicht das ganze Volk klar übersehen kann.”     Silvio Gesell
In der Tiefe war etwas im Werden. Etwas wie eine neue Menschlichkeit.”     Hermann Hesse
Man hielt den Atem an. Denn vor uns stand ein Entronnener aus eben jener Schar stummer Blutzeugen für die Ideen der Gewaltlosigkeit, der Wahrheit und der Menschenliebe. Dies war ihr Los wie vor 2000 Jahren.”     Annette Kolb

„Was wir in diesen Tagen erleben ist ein Märchen, das Wirk­lichkeit gewor­den ist“. Der König ver­läßt heim­lich die dun­kle Stadt während sich der Sozialdemokrat, The­ater- und Kriegskri­tik­er Kurt Eis­ner in der Nacht zum 8. Novem­ber 1918 auf den frei gewor­de­nen Platz des bay­erischen Regierungschefs set­zt und Bay­ern zum Freis­taat erk­lärt. Er bemüht sich, trotz heftigem Wider­stand von rechts und links, um die Inter­gra­tion aller gesellschaftlichen Kräfte. Lange hat er allein gekämpft gegen den Krieg. Endlich kann er reden, nicht von Parteipoli­tik, son­dern von wesentlichen Din­gen. Von der Neube­seelung der Men­schen, der Kun­st als Mit­tel der Erziehung, die hin­aus­dringt in jedes Dorf. „Wenn über­all die große Kun­st in den Dienst des Volkes gestellt wird, dann wird für das kün­ftige Völk­er­leben eine neue Zeit anbrechen!“ Er bekommt viel Zus­pruch, zu viel? Die Bere­itschaft der Men­schen mitzugestal­ten, wächst. Die Tage im Jan­u­ar sind „die schön­sten meines Lebens“. Doch die Geg­n­er drän­gen, sie set­zen schließlich für den Prozeß viel zu frühe Wahlen schon im Feb­ru­ar durch. Eis­ners Traum von der Vere­ini­gung der Linken ist gescheit­ert. Er und seine Min­is­ter erhal­ten jäm­mer­lich wenig Zus­pruch, obwohl auch zum ersten Mal Frauen wählen durften. Ende eines Traums? Ende der Ver­wirk­lichung der Vision Schillers und Beethovens (9. Symphonie)?

Wenige Tage später wird Eis­ner auf offen­er Straße erschossen.
Gus­tav Lan­dauer rief den 100.000 Münch­n­ern bei sein­er Grabrede zu: „Kurt Eis­ner war ein Prophet, der unbarmherzig mit den klein­müti­gen, erbärm­lichen Men­schen gerun­gen hat, weil er die Men­schen liebte und an sie glaubte. … Die Rev­o­lu­tion ist sein Ver­mächt­nis an die Men­schheit. Wir haben sie in seinem Geiste fest und human weiterzuführen.“
München trauerte und rutschte gen Süden. Von über­all kamen Hip­pies, San­da­len­träger, Radikaldemokrat­en, Hyp­no­tiseure und Yogis in die Stadt, von der es hieß, daß hier Lit­er­atur in Wirk­lichkeit ver­wan­delt werde. Men­schen wur­den berührt von all den Traumtänz­ern, Predi­gern, Gedichtev­erteil­ern und Möglichkeits­men­schen. Es war, als hätte sich für einen Augen­blick ein Fen­ster geöffnet, das den Blick freigab in eine andere Welt. Viele hat­ten über Jahrzehnte auf diesen Moment hingewirkt. Dichter und Weltverbesser­er, der The­ater­schreiber Ernst Toller, der Anar­chist Erich Müh­sam, der Schrift­steller und Paz­i­fist Gus­tav Lan­dauer, der Freigeld­denker Sil­vio Gesell, der Poli­tik­er Ernst Niekisch, der Rev­o­lu­tionär Re Marut (B.Traven) und all die mit ihnen Sym­pa­thisieren­den, wie Oskar Maria Graf, Rain­er Maria Rilke, Klabund (Alfred Georg Her­mann Hen­schke), Thomas Mann. Viele hofften, daß ihr Lei­den im Krieg nicht umson­st gewe­sen sei und wußten, daß es jet­zt in dieser his­torischen Chance um Einigkeit im Kampf gegen den Kap­i­tal­is­mus gehe. Am 7. April 1919 wird die Rätere­pub­lik aus­gerufen. Ein ganzes Maß­nah­men­bün­del soll umge­set­zt wer­den, doch wom­it begin­nen? Und wieviel Zeit wird dafür gewährt? „Die See­len der Men­schen müssen von Grund auf neu sich bilden, in Schulen und an den Uni­ver­sitäten“ (Lan­dauer). Zin­sh­errschaft ist zu been­den, Geld­trans­fers von Großkap­i­tal­is­ten ins Aus­land zu ver­hin­dern. Mietwuch­er soll ver­boten wer­den. Zeitun­gen und das Ver­lagswe­sen müssen sozial­isiert wer­den um der „Kriegshet­zen­den Lügen­presse“ Herr zu wer­den, „gegen die Ver­pö­belung des Geschmacks“ (Presse soll frei sein von Unternehmergewin­nen, wie die Schulen!). Ate­liers sollen für Kün­stler und Kreative zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Die Freilas­sung aller Kriegs­ge­fan­genen wird ange­ord­net, der 8‑Stundentag einge­führt, eben­so der arbeits­freie Son­ntag. Es war die Welt­sekunde der Lit­er­atur an der Macht – ein Traum, eine Möglichkeit, ein Gedicht. Viel zu schnell schloß sich das Fen­ster, die Rätere­pub­lik währte ger­ade mal 7 Tage.

Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt.”    Friedrich Hölderlin
Liebe und Friede,  Geist und Volk,  Schönheit und Gemeinschaft:  das alles war ihm (Hölderlin) zusammengehörig und eins.”     Gustav Landauer

Frieden und Liebe war der Traum.
Hohn und Spott und Hass war das Ergeb­nis. Es endete fürchter­lich. Die Men­schen hat­ten Angst. Um ihr Geld. Um ihre Sicher­heit und um ihre Ruhe. München wurde in zwei sich uner­bit­tlich bekriegende Hälften geris­sen. Ein­er, ger­ade 30 gewor­den, poli­tisierte sich seit diesen Tagen. Adolf Hitler wußte noch nicht, welche Auf­gaben das Leben für ihn vorge­se­hen hatte.

Rain­er Maria Rilke schreibt während der Räte-Zeit: „Erst jet­zt sind ja eigentlich Ide­ale deut­lich gewor­den, die men­schlich­sten und hin­reißend­sten, und es darf uns nicht beir­ren, daß die Menge so schw­erkör­perig und unbe­holfen und rat­los für sie ein­ste­ht.“ Kurze Zeit danach ver­ließ der Ster­nen­dichter Deutsch­land für immer.

Später schrieb er über den bay­erischen Traum: „Deutsch­land hätte 1918 im Moment des Zusam­men­bruchs alle, die Welt, beschä­men kön­nen durch einen Akt tiefer Wahrhaftigkeit und Umkehr. Damals hoffte ich einen Augenblick…“

Quellen:

Volk­er Wei­der­mann „Träumer“, 2017
Johannes Hein­richs „Rev­o­lu­tion aus Geist und Liebe“, 2007
Spiegel 45/2017
Gus­tav Lan­dauer: „Friedrich Hölder­lin in seinen Gedicht­en“, Rede vom 13. März 1916

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3) Matriarchatsforschung und Patriarchatskritik

 

Warum gebrauchen wir im CHAR­TA-Zusam­men­hang diese bei­den poli­tis­chen Begriffe, die schein­bar z.Z. völ­lig „außer Mode“ sind? Weil sie, ähn­lich wie die Begriffe im Zusam­men­hang basis- und rät­edemokratis­ch­er Konzepte, völ­lig zu Unrecht als unzeit­gemäß und über­holt gel­ten. In den 80er Jahren des let­zten Jahrhun­derts durften wir eine Blüte des poli­tis­chen und ganzheitlichen Bewußt­seins erleben. „Ökofem­i­nistin­nen“ hat­ten die The­men Matri­ar­chat und Patri­ar­chat in die gesamt­poli­tis­che Debat­te einge­bracht. Anar­chis­ten, Umwelt­be­wußte und sog­ar Teile der marx­is­tis­chen Linken began­nen zu ver­ste­hen, daß Kap­i­tal­is­mu­s­analyse allein nicht aus­re­ichte, die patri­ar­chale Zivil­i­sa­tion als Herrschaftssys­tem von Men­schen über Men­schen in der gebote­nen Tiefe zu erfassen. Statt die „Frauen­frage“ als „Neben­wider­spruch“ im Klassenkampf abzu­tun, began­nen die ersten damit, den Kap­i­tal­is­mus als das mod­erne Gesicht eines darunter liegen­den Unter­drück­ungssys­tems zu erkennen.

Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts.“ (.…) Frauen begannen zu erkennen, daß es einen Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung, atomarer Bedrohung, Krieg und patriarchaler Gewalt gegen Frauen und fremde Völker gibt.“   Mariam Irene Tazi-Preve

Dann set­zten im Zuge der neolib­eralen Glob­al­isierung ver­schiedene Desin­for­ma­tions-kam­pag­nen ein und began­nen, das poli­tis­che Bewußt­sein unser­er Gesellschaft wieder nach­haltig einzunebeln. Die soziale Mark­twirtschaft wurde zum Aus­lauf­mod­ell, aber auch alle poli­tis­chen Per­spek­tiv­en, die das herrschende Sys­tem grund­sät­zlich in Frage stell­ten, geri­eten in den Ruf, von vorgestern zu sein. Nach dem Zusam­men­bruch der staats-sozial­is­tis­chen Vari­ante des Patri­ar­chats war sog­ar von einem „Ende der Geschichte“ die Rede. Und heute regiert das t.i.n.a‑Prinzip (=there is no alter­na­tive) nahezu weltweit die Politik.

Patriarchales Bewußtsein steigerte sich im Verlauf der Ausweitung von Herrschaftstechnologie, die von direkter Gewalt immer stärker zu unsichtbarer, struktureller Gewalt übergegangen ist.“   Heide Göttner-Abendroth
Einige von uns spüren, da muß etwas geschehen. Wir ahnen, wir brauchen die Wildnis zum Leben. Wir müssen umdenken, umhandeln, umfühlen. Beunruhigt bemerken wir, unsere ganze Zivilisation ist auf dem falschen Weg.“   Claudia von Werlhof

Als wir vor bald zehn Jahren mit der Arbeit an der CHARTA began­nen, war uns klar, daß wir die Prinzip­i­en von Dezen­tral­isierung und Region­al­isierung ergänzen mußten um die Per­spek­tive ein­er nach­halti­gen Basis­demokratie; und daß eine solche nicht ein­fach eine Wieder­hol­ung der ersten rät­edemokratis­chen Ver­suche von vor rund hun­dert Jahren sein kon­nte, son­dern heute das gesamte mod­erne Wis­sen um Matri­ar­chat, Patri­ar­chat und deren anthro­pol­o­gis­chen und struk­turellen Grundbe­din­gun­gen, ein­er erwiesen­er­maßen frei­heits- und gemein­schafts­förder­lichen Zivil­i­sa­tion, in sich aufzunehmen hat, wenn sie mehr sein will als ein rel­a­tiv irrel­e­vantes und chan­cen­los­es Herum­stochern im Nebel. Erst die Erin­nerung, das Wis­sen und die Inte­gra­tion dieser „Matrix der Frei­heit“ in unser heutiges Gestal­ten von Gesellschaft ver­lei­ht der CHARTA das Zeug zu ein­er neuen „großen Erzählung“.

Wenn das fragmentierte Wissen wieder zusammengesetzt würde, entstünde Wissen erst wirklich.“   Mariam Irene Tazi-Preve

Das Patri­ar­chat, die Zivil­i­sa­tion der Herrschaft von Men­schen über Men­schen, ist auf Krieg, Raub und Aus­beu­tung gegrün­det, aber erst ca. 5000 Jahre alt. Der „Krieg als Vater aller Dinge“ und die „schlecht­en, faulen und ego­is­tis­chen Men­schen“ die zu ihrem eige­nen Besten von den Eliten kon­trol­liert wer­den müssen – sie gehören wed­er zur men­schlichen Natur, noch existieren sie schon ewig.

Der erste Klassengegensatz in der Geschichte fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Frau in der Einzelehe, und die erste (…) Unterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche.“    Friedrich Engels
Patriarchat ist für mich (…) vor allem ein theoretisches Grundkonzept für das Verständnis der Herkunft, Entwicklung und Zukunft unserer gegenwärtigen weltweiten Gesellschaftsordnung.“    Claudia von Werlhof
Das Unrecht hat einen Namen.“   Mariam Irene Tazi-Preve

Davor und daneben gab es die glob­ale Zivil­i­sa­tion der Matri­ar­chate. Sie hat über Jahrzehn­tausende friedlich und über drei Kul­turstufen hin­weg existiert (Reste davon, wenn auch weniger als ein Prozent der Welt­bevölkerung, leben heute noch nach ihrem Muster). Sie basiert auf mut­terzen­tri­erten Struk­turen und Werten, die nicht nur die famil­iären und sozialen Ver­hält­nisse in den Grun­dein­heit­en der Gesellschaft prä­gen, son­dern eine ganz andere Zivil­i­sa­tion her­vor­brin­gen, die auf Gemein­schaft und Koop­er­a­tion basiert.

Matri­ar­chate bedeuten nicht nur ein anderes Ver­hält­nis (auf Augen­höhe!) der Geschlechter zueinan­der, sie bedeuten auch ein anderes Ver­hält­nis zwis­chen den Gen­er­a­tio­nen, andere (herrschafts­freie) Entschei­dung­sprozesse und poli­tis­che Struk­turen, ein part­ner­schaftlicheres Ver­hält­nis zur Natur und ein Ver­hält­nis zur Tran­szen­denz, das lebens­be­ja­hen­dere, leib- und frauen­fre­undliche Vorstel­lun­gen über die geistige Welt fördert als die patri­ar­chalen „Hochre­li­gio­nen“.

Leugn­er, Geg­n­er und Ver­leumder der matri­ar­chalen Zivil­i­sa­tion stellen diese gern als „fake“, män­nerun­ter­drück­end oder nur in der Steinzeit möglich dar. Nichts davon ist real. Diese Vorurteile entste­hen (besten­falls) aus Unwis­senheit oder wer­den absichtlich aus ide­ol­o­gis­chen Vor­be­hal­ten lanciert.

Wenn wir heute das Wis­sen um die alte egal­itäre Gemein­schaft­szivil­i­sa­tion in die aktuellen CHARTA ‑Zusam­men­hänge inte­gri­eren, dann geht es nicht darum, ver­gan­gene Sozial­struk­turen 1:1 in die Gegen­wart zu über­tra­gen, son­dern darum, die wesentlichen Grundzüge dieser erprobten sozialen Intel­li­genz für den Auf­bau ein­er enkeltauglichen Zukun­ft zu nutzen.

Demokratie…wird eine Wiederbelebung sein – aber in höherer Form- der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der alten (mutterrechtlichen) Sippen.“  Friedrich Engels
Gelingt es, in diesem extremen Prozess die zerstörerischen patriarchalen Herrschaftsmuster aufzulösen und überall, auch in Europa, zu kleineren Gebilden mit lebensfreundlicherer Sozialordnung zurückzukehren?“ Heide Göttner-Abendroth
Das politische Gestalten matrilinearer Gesellschaften folgt den Prinzipien der Kleinräumigkeit und der Konsensbildung.“  Mariam Irene Tazi-Preve
Quellen:

Hei­de Göt­tner-Aben­droth „Zur Def­i­n­i­tion von Matri­ar­chat“ und „Matri­ar­chate als herrschafts­freie Gesellschaften“ und „Der Weg zu ein­er egal­itären Gesellschaft“

Clau­dia von Werl­hof „Der unerkan­nte Kern der Krise“ und „Die Verkehrung“

Friedrich Engels „Der Ursprung der Fam­i­lie, der Pri­vateigen­tums und des Staates“

Bernd Her­ck­sen „Vom Urpa­tri­ar­chat zum glob­alen Crash?“

Mari­am Irene Tazi-Preve „Das ver­sagen der Kle­in­fam­i­lie – Kap­i­tal­is­mus, Liebe und der Staat“